STURE
BÖCKE
Regie: Grimur Hákonarson Biographie des Regisseurs
Der isländische Regisseur Grimur Hákonarson, 1977 geboren,
besuchte die FAMU - Filmakademie der Darstellenden Künste in Prag.
Sein Abschlussfilm Slavek The Shit (2004) erzielte gleich internationale
Aufmerksamkeit und wurde von der Sektion Cinefoundation des Filmfestivals
in Cannes 2005 ausgewählt und gewann 12 Festivalpreise, darunter
der “Silver Hugo” des Chicago International Film Festival.
Sein nächster Kurzfilm Wrestling hatte Premiere beim Locarno Filmfestival
2007 und ist einer der erfolgreichsten Kurzfilme Islands, er gewann weltweit
25 Festivalpreise. Sein zweiter Langfilm STURE BÖCKE/ HRÚTAR
wurde 2015 mit dem Hauptpreis der Sektion „UN CERTAIN REGARD“ des
Cannes' Filmfestivals ausgezeichnet.
Filmographie
2015 - STURE BÖCKE/ HRÚTAR – Spielfilm
2013 - HVELLUR - Dokumentarfilm
2012 - PURE HEART - Dokumentarfilm
2010 - SUMMERLAND - Spielfilm
2007 - WRESTLING - Kurzfilm
2005 - SLAVEK THE SHIT - Kurzfilm
2004 - LAST WORDS OF HREGGVIDUR - Kurzfilm
2002 - VARDI GOES EUROPE - Dokumentarfilm
2001 - VARDI GOES ON TOUR – documentary
Interview mit Grímur Hákonarson
Woher kam die Inspiration für eine Geschichte über zwei entfremdete
Brüder und ihre Schafe?
Mein Film basiert in großen Teilen auf meinen eigenen Erfahrungen
mit Menschen auf dem Land und der ländlichen, isländischen
Kultur. Meine Eltern sind beide auf dem Land groß geworden und
ich wurde die meisten Sommer bis zum Alter von 17 dorthin geschickt,
um da zu arbeiten und zu leben. Aus diesem Hintergrunds heraus habe ich
ein besonderes Verständnis der Geschichten, Charaktere und der visuellen
Sprache dieser ländlichen Gegenden Islands.
Mein Vater arbeite auch für das Landwirtschaftsministerium, und
das war meine Quelle für den Einblick in die Verwaltungsabläufe
und wie die Agrarwirtschaft sich entwickelt und verändert hat. Eines
der härtesten Dinge, die mein Vater in seinem Berufsleben erlebte,
war die Entscheidung darüber, ob bestimmte Viehherden geschlachtet
werden sollten, um den Ausbruch einer Krankheit zu verhindern.
Im Norden Islands, wie in anderen ländlichen, isländischen
Gegenden, war Schafzucht immer ein zentraler Teil ihrer Lebensgrundlage
und ihrer Kultur - bis in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. So
sind Schafe immer noch vielen Menschen dort heilig. Sie verkörpern
den Stolz, den alten Lebensstil, wie Menschen früher waren. Schafe
spielten für Jahrhunderte eine entscheidende Überlebensrolle
in diesem Land und sind eng mit dem isländischen Gemüt verbunden.
Unser Land wurde mit Fischen und Landwirtschaft begründet und in
Bardardalur, wo STURE BÖCKE gedreht wurde, ist Schafzucht immer
noch die Hauptbeschäftigungsquelle.
Aber neben dem landwirtschaftlichen Aspekt gibt es da noch etwas Besonderes,
die meisten Bauern haben eine stärkere Beziehung zu den Schafen
als zu anderen Haustieren. Farmer, die eine gemischte Zucht betreiben,
die Kühe, Schafe und Pferde aufziehen, sind meistens am stärksten
an den Schafen interessiert. Irgendwie war die Beziehung zwischen Schafen
und Männern immer besonders eng, und dieses Phänomen fand ich
interessant und faszinierend.
Diese Welt wollte ich in meinem Film darstellen, Menschen, die allein
mit ihren Schafen leben und eine starke emotionale Bindung zu ihren Tieren
entwickeln. Das ist in der heutigen Gesellschaft sehr selten geworden
und Menschen, wie meine Hauptfiguren Gummi und Kiddi, sterben aus. Ich
glaube nicht, dass das eine Schande ist. Ich mag Exzentrizität und
Eigentümlichkeit bis zu einem bestimmten Punkt und ich würde
wünschen, dass das weiterlebt - auch in der modernen Gesellschaft.
Gummi und Kiddi, ihre Hauptfiguren, sind beide Schafzüchter, Nachbarn,
Brüder - aber sie haben seit 40 Jahren nicht mehr miteinander gesprochen...
Konflikte zwischen Nachbarn sind in Island auf dem Land sehr verbreitet.
Ich kenne viele Beispiele von Nachbarn, die sich entzweien und danach
Jahrzehnte nicht mehr miteinander sprechen. Oftmals vergessen sie sogar,
warum sie überhaupt verfeindet sind. In erster Linie sind Isländer
dickköpfig und unabhängige Menschen, sie wollen auf ihren eigenen
Füßen stehen und misstrauen allem, was von außen kommt.
Da gibt es ein Unabhängigkeitsdenken, das manchmal gegen alle Logik
geht.
Gründe für Dispute gibt es viele, aber meistens streiten die
Leute über Grundstücke, das Erbe oder romantische Dinge. Es
ist ziemlich tragisch, dass Menschen, die sehr isoliert in kleinen Gemeinden
leben, es nicht schaffen, mit ihren nächsten Nachbarn zu reden.
Und gleichzeitig finde ich diese Situation komisch. Ich kenne einige
Single-Bauern, die alleine leben. In bäuerlichen Familien übernehmen
meistens die Söhne, die Töchter ziehen weg. Die Söhne
hängen auf dem Hof fest und haben wenig Gelegenheit, eine Frau oder
irgendeine Form von Geselligkeit zu finden.
Zwei Brüder, die Seite an Seite in einem hinterwäldlerischen
Dorf leben, aber nicht miteinander sprechen. Sie haben niemanden, mit
dem sie reden können, außer ihren Tieren, aber der Stolz beider
ist zu groß, um nachzugeben. Das ist ein guter Ausgangspunkt für
einen tragisch-komischen Film, oder ein Drama voller isländischem
Humor, und das ist genau die Art von Geschichte, die mir persönlich
gefällt.
Wie erfuhren Sie von dieser als "Scrapie" bekannten Krankheit
und entschieden, sie zum erzählerischen Katalysator ihrer Geschichte
zu machen?
Scrapie (BSE) ist die gefährlichste Krankheit im ländlichen
isländischen Raum. Das ist ein unheilbarer Virus, der das Gehirn
und das Rückenmark der Schafe attackiert und hoch ansteckend ist.
Die Krankheit wurde ursprünglich in Island durch britische Schafe
verbreitet, die im späten 19. Jahrhundert ankamen. Bisher konnte
sie noch nicht ausgerottet werden. Diesen Winter sahen wir die letzten
drei Fälle von Scrapie in Nordwest-Island, deshalb ist die Krankheit
noch geläufig und ängstigt die Menschen. Ich kenne Bauern,
die wegen Scrapie sehr leiden mussten und ich kenne das mentale Trauma,
das aus der Vernichtung einer ganzen Herde resultiert.
Die Herde meiner Nichte infizierte sich an Scrapie und es war ein großer
emotionaler Schock für sie und ihren Mann. Ich erlebte ganz direkt,
wie die Angelegenheit sie psychologisch tangierte. Sie haben viele Kinder
und sie züchten auch Kühe und Pferde, weshalb sie nicht alles
verloren. Aber ich dachte darüber nach, wie er für jemanden
wäre, der alleine lebt, und der nur seine Schafe hat, seine ganze
Herde ausrotten zu müssen.
In STURE BÖCKE bringt der Scrapie-Ausbruch die Geschichte in Fahrt.
Die Brüder merken, dass sie ein gemeinsames Anliegen haben und eine
gemeinsames Ziel, das wichtiger ist als das Zerstörerische. Ich
glaube, dass auch viele Menschen außerhalb Island mit dieser Geschichte
etwas anfangen können und deshalb wollte ich sie mit diesem Film
erzählen.
Wie haben Sie die verschiedenen Genres ausbalanciert, um sowohl Humor
als auch tiefe Humanität in so einer schwierigen Umgebung darstellen
zu können?
STURE BÖCKE kann als sehr skandinavischer Film gesehen werden, als
Cocktail aus Drama und schwarzem Humor. Ich gebe zu, dass mein eigener
Humor sehr trocken ist und das beeinflusst meine Filme. Ich glaube, STURE
BÖCKE kann mit einigen nordischen Filmen verglichen werden, wie
Bent Hammers KITCHEN STORIES und NOI ALBINOI von Dagur Kári.
Aber auch wenn STURE BÖCKE in der Reihe der sehr trockenen Komödien
gesehen werden kann, wollte ich doch eine universellere und nachvollziehbar
menschliche Geschichte erzählen.
Das Thriller-Element, das im Film auftaucht, war ursprünglich nicht
geplant, aber der Einsatz, den diese Charaktere für ihren Lebensweg
leisten müssen, ist so hoch, dass die Zuschauer das so erleben.
Als ich das Drehbuch entwickelte, baute ich sorgfältig den Suspense
ein, aber nur weil ich dachte, dass das den Film interessanter macht.
Wie haben Sie Ihre zwei Hauptdarsteller besetzt, und wie haben Sie
mit den beiden neben all den Widdern und Schafen im Film gearbeitet?
Ich wollte Schauspieler, mit denen sich die Zuschauer identifizieren
können, und Sigurður und Theodór sind mit die anerkanntesten
Schauspieler Islands. Damit die Figuren glaubhaft sind und auf der Leinwand
wirklich zu Leben erweckt werden, war es mir wirklich sehr wichtig, die
Verfassung der beiden Bauern zu verstehen. Gummi und Kiddi stehen für
Archetypen und es war sehr wichtig, dass meine Schauspieler die fraglichen
Leute trafen. So machten sie sich mit Schafzucht sowohl mit akademischer
Recherche als auch durch persönliche Erfahrung vor Ort vertraut.
Ich produzierte auch eine detaillierte Hintergrundgeschichte, die beide
studieren und in ihre Rollen integrieren konnten. Da Unterhaltungen und
Dialoge eher rar im Film sind, war es notwendig, dass die beiden Figuren
sehr stark und interessant als Individuen sind, und dass die Schauspieler
eine sehr physische und intuitive Darstellung leisten können.
Wir hatten für einige Tage eine Schafproben-Phase, wo wir die Szenen
nur mit den Schafen probten. Wir shampoonierten die Steinböcke und
so weiter. Sigurður Sigurjonsson arbeitete als Teenager auf einem
Bauernhof und so kannte er sich mit Landwirtschaft bereits aus. Theodór
Júlíusson hatte auch etwas Erfahrung, aber beide lebten
die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens in der Stadt, und so brauchten
sie etwas Training. Die Schafe zu casten war auch ein Abenteuer, das
einige Vorbereitung und Vorausschau benötigte. Einige meiner besten
Erinnerungen an den Film sind die Auditions mit den Schafen.
Es stellte sich heraus, dass das Temperament der Schafe je nach Bauernhof
sich unterschied. Auf dem einen Bauernhof waren sie überhaupt nicht
zahm und rannten immer weg. Nach langer Suche endeten wir in Halldórsstaðir,
wo Begga, die Bäuerin, sie mit Liebe und Respekt behandelt. Die
Schafsböcke kamen direkt auf uns zu und gaben uns einen STubs, als
ob sie hinter den Ohren gekrault werden wollte. Mit diesen Schafen konnten
wir großartig arbeiten, sie machten es für die Schauspieler
sogar einfacher. Ein Bauer von Bardardalur, Magnus Skarphédinsson,
war unser Schaftrainer und erledigte einen tollen Job.
Wenn es jemals Preise für Tierdarsteller geben sollte, bin ich sicher,
dass unsere Schafe sie wirklich verdienen und wir würden mit einigen
Statuen nach Hause gehen.
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