DER SELTSAME KLANG DES GLÜCKS

Die Maultrommel – Herkunft, Klang & Bauweise

Fragt man einen Sizilianer nach der Herkunft der Maultrommel, so wird er mit Bestimmtheit antworten, dass sie aus Sizilien kommt, wo sie Scacciapensieri oder Marranzano heißt. Fragt man einen Deutschen, einen Ungarn, einen Vietnamesen, sie alle werden voll Überzeugung behaupten, dass dieses Instrument definitiv aus ihrer Heimat stamme. In Wirklichkeit aber stammt es von einem Menschen, der noch keinen Pass hatte. Einem Menschen der als erster feststellte, dass man mit ein paar geschickten Handgriffen aus einem Stück Knochen, Holz oder später aus Eisen einen Klangkörper schaffen konnte, mit dem sich die wunderbarsten Melodien spielen ließen.
Vieles deutet darauf hin, dass die ältesten Ausführungen aus Holz (Bambus) hergestellt wurden. In Europa wurden die ältesten Funde in Ostfrankreich gemacht. 1868 fand man bei Rouen fünf Maultrommeln aus Bronze, wahrscheinlich stammen diese aus gallisch-römischer Zeit (5. bis 7. Jahrhundert).

Die Maultrommel ist ein kleines Musikinstrument mit durchschlagender Zunge, dessen Tonerzeugungsprinzip bereits sehr lange auf der Welt weit verbreitet ist. Eine manuell angeregte elastische Zunge schwingt durch die geöffneten Zahnreihen in den Mundhohlraum des Spielers. Deren Ton wird durch Änderung der Größe der Mundhöhle und durch die Atmung klanglich verändert, einzelne Obertöne werden hörbar herausgehoben und bilden dadurch die eigentlichen gespielten Töne.

Als ich zum ersten Mal den Klang einer Maultrommel hörte, war ich vollkommen fasziniert. Es ist schwer, Musik oder bestimmte Harmonien mit Worten zu beschreiben, aber dieses kleine Instrument schien mir sofort mehr zu sein als die Töne, die es erschaffen konnte. Mehr als ein reiner Klangkörper. Seltsamerweise wirkten alle Musiker, die mit ihr spielten, auf besondere Art und Weise zufrieden.
(Diego Pascal Panarello)

Die Form des Bügels ist regional unterschiedlich, aber das Funktionsprinzip ist überall gleich: Zwischen den Schenkeln eines U-förmigen Rahmens, den man in die Mundhöhle nimmt, ist eine Blattfeder als Federzunge fixiert, die mit dem Finger zum Schwingen angeregt wird. Die Tonhöhe des Grundtons wird in erster Linie bestimmt durch die Länge, Dicke, Härte und Form der Feder. Die Breite der Feder wirkt sich in erster Linie auf Torsionsschwingungen aus. Entscheidend ist der Obertongehalt einer Maultrommel. Hierbei gilt, je enger der Abstand zwischen Feder und Bügeln ist, desto besser ist der Obertongehalt.

Die meisten Maultrommeln werden aus Metall hergestellt und gehören zum Typus der Bügelmaultrommeln, bei denen die als dünner Haken über den Bügel hinausragende Zunge mit dem Finger gezupft wird. Beim anderen Typus, den Rahmenmaultrommeln, ist die Zunge an allen Seiten von einem Rahmen umschlossen und ein Ende des Rahmens wird direkt mit dem Finger oder über eine Schnur angeregt.
Zu den südostasiatischen Rahmenmaultrommeln aus Bambus gehören die Genggong, die in der balinesischen Musik und der Musik von Lombok gespielt wird, die Karinding im Westen Javas, die Angkuoch in Kamboscha die Ruding in Nord-Borneo, die Kubing in Mindanao und die Hun im Nordosten Thailands und in Laos. Die vietnamesische Dan Moi ist eine Rahmenmaultrommel aus Messing, die nicht gegen die Zähne, sondern an die Lippen gehalten wird.

Je tiefer ich in die Szene der Maultrommel Enthusiasten eintauchte – zu meiner Verblüffung eine weltweit vernetzte Gemeinschaft an Liebhabern, Musikern, Sammlern und natürlich Herstellern, die als „Meister“ verehrt werden – desto mehr zeichnete sich ein klares Bild ab: Diese Menschen waren alle mit sich im Reinen, sie waren glücklich! Und alle behaupteten, dass dieses kleine, unscheinbare Instrument der Grund dafür war.
Lag es nur daran, dass, wie mir der Japaner Leo Tadagawa erzählte, dass Musizieren mit einer Maultrommel einer „Massage des Gehirns“ gleich kommt? Die Maultrommel muss beim Spielen an die Zähne gepresst werden und die erzeugten Vibrationen werden dadurch an den Kopf, an das Gehirn weitergegeben. War das der Schlüssel, das Geheimnis ihrer Zufriedenheit?
(Diego Pascal Panarello)

Maultrommeln werden in Norwegen, in der österreichischen Gemeinde Molln, der ostsibirischen Republik Sacha (vormals Jakutien) und der südrussischen Republik Tuwa hergestellt, ferner in der Slowakei, Deutschland, Polen, Italien, Ungarn, Vietnam, Indonesien, Afghanistan, Indien, den Philippinen und den USA.
Die musikalische Anwendungspalette reicht vom einfachen “Boing!” bei Zeichen-trickfilmen über moderne Musik bis zur Klassik. Die Maultrommel findet sich fast weltweit als Instrument der Volksmusik, sie gehört auch zum traditionellen Instrumenten-Repertoire des Alpenraumes und ist von Ungarn und Slowenien über die deutsch- und italienischsprachigen Alpenländer bis nach Frankreich und weiter nach Sardinien und Korsika heimisch.

Die Menschen, die ich auf meiner Reise treffe, könnten unterschiedlicher nicht sein. Es scheint, als würde die Maultrommel neben dem Glück auch die Skurrilität ihrer Spieler fördern. DER SELTSAME KLANG DES GLÜCKS soll diese Exotik humorvoll einfangen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Es ist dies auch eine sehr persönliche, innere Reise auf der Suche nach meinem Glück. Ein musikalischer Road-Trip an Orte, von denen wir nicht gedacht hätten, dass sie existierten, zu Menschen, die sich für Lebensentwürfe entschieden haben, die zu unseren „westlichen“ Vorstellungen kaum gegensätzlicher sein könnten. Stets diesem seltsamen Klang folgend, soll dieser Dokumentarfilm vor allem Eines: Für eine kurze Zeit jene Stimmung wiedergeben, die ich auf meiner Reise, bei jedem Treffen mit diesen faszinierenden Menschen, gespürt habe und die mich bis heute nur beim Gedanken daran lächeln lässt…
(Diego Pascal Panarello)