EIN GEHEIMNIS

Buchvorlage

Philippe Grimbert
wurde 1948 in Paris geboren und ist Schriftsteller und Psychoanalytiker. Nach dem Psychologie-Studium in Nanterre hat er eine eigene Praxis eröffnet. Er hat zwei Bücher veröffentlicht: „La Petite Robe de Paul“ (2001) und „Un Secret“ (2004). Aufgrund seiner Leidenschaft für Musik sind auch drei Essays erschienen: „Psychanalyse de la chanson“ (1996), „Pas de fumée sans Freud“ (1999) und „Chantons sous la psy“ (2002). Sein ursprünglicher Familienname lautete Grinberg und wurde von seinem Vater wegen der jüdischen Herkunft vor dem Zweiten Weltkrieg geändert.

Interview mit Philippe Grimbert

Sie haben sich den Filmemacher, der Ihr Buch verfilmen sollte, selbst ausgesucht. Wie ist dieses ungewöhnliche Casting abgelaufen?
Meine Lage ist einzigartig. Beruflich arbeite ich mit autistischen und psychisch-gestörten Kindern und bin somit von der Welt der Bücher und des Films weit entfernt. Allerdings bin ich ein großer Filmliebhaber! Nach der Veröffentlichung von „Ein Geheimnis“ haben sich offensichtlich viele Filmemacher für eine mögliche Drehbuchadaption interessiert. Marie-Hélène d’Ovidio, die für die audiovisuellen Rechte meines Verlags Grasset verantwortlich ist, machte mir den Vorschlag, mich an den Vorgesprächen zu beteiligen, um auf diese Weise selbst sechs oder sieben Regisseure und ihre Arbeit kennenzulernen. Die Idee fand ich klasse. Zu Claude Miller hatte ich auf Anhieb einen ausgesprochen guten Kontakt. Nach dieser ersten entscheidenden Begegnung ging dann alles sehr schnell.

Finden Sie eine Erklärung für diese spontane Übereinstimmung mit Claude Miller?
Es war für mich zunächst einmal insofern überraschend, weil ich der Meinung war, dass eine Adaption meines Buches kaum möglich sei! Mit Claude verbinden mich Gemeinsamkeiten in unserer persönlichen Geschichte. Unsere Lebenswege unterscheiden sich zwar, aber er möchte etwas zum Ausdruck bringen und das verbindet uns; die Frage nach Identität und Herkunft beschäftigt uns beide. Ich verstand dann immer mehr, warum die Chemie zwischen uns stimmte. Wir sind beide Söhne von Vätern, die sich für eine Anpassung entschieden hatten und sich über ihre Wurzeln in Schweigen hüllten. Diese Gemeinsamkeit schaffte sehr schnell und intensiv eine Verbindung zwischen uns. Darüberhinaus vertrauten wir uns gegenseitig bei der Adaption für das Drehbuch, wir haben schon während der Entstehung – bei der ich übrigens nicht direkt beteiligt war – die ganze Zeit diskutiert und auch während der Dreharbeiten. Wenn ich Vorschläge machte, nahm Claude sie mit Begeisterung auf.

Warum waren Sie beim Verfassen des Drehbuchs nicht direkt beteiligt?
Ich glaube, ab einem bestimmten Zeitpunkt sollte man Buch und Autor voneinander trennen. Es geht um die Entstehung eines neuen Werks, in diesem Fall ein Film, das seinen eigenen Stil finden muss. Ich bin kein Drehbuchautor und habe Natalie Carter und Claude Miller daher völlig vertraut, dass ihnen eine gute Adaption gelingt. Ich haben ihnen gesagt: „Lest mein Buch und lasst euch einfach inspirieren.“

Hat das Drehbuch Sie dann überrascht?
Das Drehbuch war für mich sehr aufschlussreich. So komisch das jetzt klingt, aber ich habe da erst gemerkt, dass mein Buch keine Dialoge enthält! Die beiden Drehbuchautoren mussten alles selbst erfinden. Es war für mich als Autor verwirrend, zu entdecken, was meine Charaktere eigentlich sagen. Sie haben eine Existenz und Gestalt bekommen, die ich ihnen im Buch so nicht vorgegeben hatte. Sie haben das Buch verlassen und angefangen zu sprechen, was auch bedeutet, dass sie alltägliche und ganz banale Dinge äußerten.

Wie war Ihre Reaktion auf die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Claude Miller für die Darstellung Ihrer Figuren ausgewählt hatte, die ja fast alle Mitglieder Ihrer Familie sind?
Ich weise immer wieder darauf hin, dass mein Buch in erster Linie ein Roman ist, auch wenn dieser auf realen Tatsachen und Personen beruht. Anhand von Fragmenten schuf ich eine romanhafte Geschichte. Allerdings war das Ergebnis des Casting ein echter Schock. Ich musste mich damit abfinden, dass Menschen, die ich gekannt hatte, von Menschen dargestellt wurden, die bekannt sind! Zudem verwirrte mich die mangelnde Ähnlichkeit zwischen den Mitgliedern meiner Familie und den Schauspielern. Und im Film hießen meine Eltern Cécile de France und Patrick Bruel! Doch meine Zurückhaltung wich sehr schnell der Achtung vor dem Talent dieser Schauspieler.

Ist es nicht beunruhigend, die eigenen Eltern auf der Leinwand dargestellt zu sehen, sogar in sehr intimen Situationen?
Ich bin Psychoanalytiker und meine Ausbildung hat mir sicher geholfen, das auf der Leinwand zu sehen, was wir in der Fachsprache die „Urszene“ nennen, d.h. den Anblick unserer Eltern beim Liebesakt. Ich habe genügend an mir gearbeitet, um diese Szene entspannt betrachten zu können, obwohl es sich um die Szene schlechthin handelt, die sich kaum ein Kind oder Erwachsener vorstellen kann.

Louise – dargestellt von Julie Depardieu – ist die einzige erfundene Person. Wie haben Sie auf die Besetzung reagiert?
Äußerlich gleicht Julie Depardieu der von mir erfundenen Person nicht, aber vom Wesen her sind sie ähnlich und das ist ja das Wichtigste.

Wie war Ihre Beziehung zu all den Schauspielern, die Ihnen auf gewisse Weise so nahe standen?
Ich war zum ersten Mal auf dem Set, als die Hochzeitsszene mit Maxime und Hannah gedreht wurde. Diese Menschenmenge mit Ihrer Kleidung aus der damaligen Zeit beeindruckte mich sehr: Ich fühlte mich wie ein Gespenst auf einer Zeitreise. Ich sah gewissermaßen, wie mein Vater seine erste Frau heiratete, und dies zu einem Zeitpunkt, da es mich noch gar nicht gab. Aber dieser Moment bereitete mir kein Unbehagen sondern reines intellektuelles Vergnügen.

War es nicht verwirrend, Ihrem Film-Double in der Person von Mathieu Amalric zu begegnen?
Ich war hocherfreut, von diesem hervorragenden Schauspieler dargestellt zu werden. Ich habe die totale Distanz zur Verkörperung meiner Person. Im Gegensatz zur Darstellung meiner Eltern verwirrt mich das überhaupt nicht. Ich war nur dagegen, dass die Person auch Philippe heißt. Das erschien mir unangebracht. François ist doch viel besser!

Wie gefiel Ihnen die Rolle, die Claude Miller Ihnen im Film gab?
Er war es, der darauf beharrte, dass ich eine Nebenrolle spielte, die Rolle des Menschenschmugglers, was übrigens für einen Psychoanalytiker nicht ganz ohne ist! Für mich war es symbolisch sehr ergreifend, auf diese Weise in dem Film mitzuwirken.

Das Buch zum Film ist erhältlich bei Suhrkamp