HEDIS HOCHZEIT

Regie: Mohamed Ben Attia

Geboren 1976 in Tunis. Er studierte am Institut de Hautes Études Commerciales in Tunis und anschließend Audiovisuelle Kommunikation in Valenciennes in Frankreich.
Sein Kurzfilm SELMA wurde im Wettbewerb des Internationalen Kurzfilmfestivals Clermont-Ferrand gezeigt. INHEBBEK HEDI ist sein Langspielfilmdebüt.

Filmografie

2004 Romantisme, deux comprimés matin et soir; Kurzfilm
2006 Comme les autres – Kif Lokhrin; Kurzfilm
2008 Mouja; Kurzfilm
2011 Loi 76; Kurzfilm
2014 Selma; Kurzfilm
2016 Inhebbek Hedi

 

Anmerkungen des Regisseurs Mohamed Ben Attia

ÜBER HEDI
Hedi bedeutet ruhig, gelassen und der Name hat sich von selbst als Titel des Films aufgedrängt. weil das nicht nur den Hauptcharakter beschreibt, sondern auch die Situation, in der er sich zu Beginn der Geschichte befindet, da ist Hedi die Ruhe vor dem Sturm. Und wie viele andere Tunesier erfährt Hedi das Stigma der Tradition, in seinem Fall durch die bevorstehende Heirat mit Khedija, einer jungen Frau, die ebenfalls vom Gewicht der Sitten und Religion erdrückt wird.
Ursprünglich wollte ich die Geschichte eines jungen Mannes erzählen, der zwischen zwei Welten hin- und hergerissen ist, die jeweils sein Leben bestimmen könnten.
Zu dieser Zeit waren in Tunesien die ersten demokratischen Wahlen und wir entdeckten zuallererst einmal uns selbst. Unter Ben Ali hatte die politische Zensur uns betäubt und ließ alles um uns herum verfaulen. Wie Hedi zu Beginn des Films versuchten wir unser Leben zu leben, ohne allzu viele Fragen zu stellen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Parallele zwischen der Reise dieses jungen Mannes und dem, was in unserem Land vor sich ging, offensichtlich und wurde zur zentralen Aussage der Geschichte, die ich um Hedis Figur entwickelte. Die Parallelen zwischen Hedi und dem, was wir zu der Zeit in Tunesien erlebten, diktierten quasi die Züge seiner Persönlichkeit und der Figur, die ich auf der Leinwand zeigen wollte.
Durch seine Begegnung mit Rim erfährt Hedi mehr über sich selbst, seine Träume und seine Grenzen. Ich muss zugeben, dass ich generell lieber "gewöhnliche" Menschen darstelle als die üblicherweise verwendeten Wortsinne typischen "Helden".

ÜBER DIE FREIHEIT UND DAS FÄLLEN VON ENTSCHEIDUNGEN
Anders als für Hedi gibt es für Khedija, die Frau, die er heiraten möchte, keinen Ausweg aus der Tradition. Sie wurde von Geburt an darauf programmiert, das Ziel einer Heirat und der Gründung einer Familie zu verfolgen und sie hat sich niemals ein anderes als das ihr vorgezeichnete Leben vorgestellt. Sie ist keine unterwürfige Frau im Sinne von aktiv unterdrückt, aber sie ist eine stark beeinflusste Frau. So wie Hedi wuchs sie in einer Umgebung auf, in der man keine neuen oder unterschiedliche Menschen traf, und sie akzeptiert ihr Los, ohne es zu hinterfragen.
Während Rim auf eine Art das Gegenteil von Khedija ist, wäre es zu vereinfachend, sie darüber zu definieren. Es gibt so viel mehr als diese beiden Formen von Frausein in Tunesien, aber in gewisser Hinsicht repräsentieren sie zwei symbolische Pole.
Hedi hat einfach nur das Glück, jemanden wie Rim zu treffen, und dadurch eine neue Sichtweise zu entdecken. Khedija erhält diese Chance nicht.
Hedis Position in seiner eigenen Familie trägt zu dieser komplexeren Sichtweise bei.
Dass er ist in seiner Familie zwischen seiner Mutter Baya und seinem älteren Bruder steckt, trägt viel zu dem bei, wie er ist.
Von Anfang ist der Kontrast zwischen den beiden Brüdern schnell zu erkennen, aber im Verlauf der Geschichte erkennen wir, dass es beiden schwer fällt, die Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen zu übernehmen.
Auch wenn Ahmed sehr zufrieden wirkt auf dem Platz, den er einnimmt - als Lieblingskind, der im Ausland ein tolles Leben hat - auch er ist zwischen den familiären Verpflichtungen und seiner persönlichen Erfüllung hin- und hergerissen.
Auch wenn Hedi als jüngerer Bruder sehr kontrolliert wird, findet er mit seinen Zeichnungen einen persönlichen Freiraum. In diesen Momenten findet er zu sich selbst. Und es ist ihm egal, dass er als Träumer angesehen wird, er lässt die anderen denken, was sie wollen und will ihr Bild von ihm nicht ändern. Dank seiner Bilder schafft er sich kleine Auszeiten bis er Rim trifft, eine Sportanimateurin. Sobald sich ihre Wege kreuzen, lernt Hedi seinen Leben neu zu betrachten und nein zu sagen.

ÜBER DAS HEUTIGE TUNESIEN
Absichtlich als Liebesgeschichte – oder noch eher als Geschichte einer “Liebe auf den ersten Blick” konzipiert, in der das Treffen der beiden Liebenden unmittelbar und plötzlich die Existenz des Helden zerlegt – ist diese Geschichte zuallererst eine Einschätzung der tunesischen Jugend nach der Revolution, Ben Alis Scheitern und des von der ganzen Welt so genannten “arabischen Frühlings“.
In dieser Geschichte gibt es keine Waffen, keine Wachen und keine Demonstrationen. Keine heroischen Helden, die Banner schwingen und über Barrikaden klettern, die ihren Brustkorb anbieten, um die Kugeln abzufangen. Meine Absicht ist eher, den Schleier zu lüften vom Leben dieser jungen Menschen fünf Jahre später, wenn sie versuchen ihren Weg zu finden, und dabei manchmal ein paar Schritte vorwärts machen, manchmal ein paar Schritte zurück.
Wo sind wir heute, und wo steht unser Land heute?
Das sind die beiden fundamentalen Fragen, die der Geschichte zugrunde liegen. Mit Rim und Ahmed entdecken wir eine Jugend, die aktiv, aber zerrissen ist, die ihre Heimat verlassen muss, um Arbeit zu finden. Mit Khedija entdecken wir den passiven, fast sedierten Teil der jüngeren Generation. Mit Hedi entdecken wir eine neue Jugend, die sich selbst sucht, sich dabei manchmal vorwärts bewegt und manchmal gerne mehr geführt werden würde und keine Veränderung will. Wie so viele andere, versucht Hedi sich von der Tradition zu befreien und sich zu emanzipieren, aber hat er die Persönlichkeit dafür? Er wird sich letztendlich dafür entscheiden, die Dinge von innen zu verändern.
So, wie ich die Geschichte anhand dieser Charaktere erzähle, wollte ich ein Porträt meines Landes zeichnen, wie es heute ist. Mein Land ist verkatert. Es ist nicht länger geknebelt, aber es liegt in den letzten Zügen einer tiefen sozialen, religiösen und ökonomischen Krise. Ich weiß, das ist eine zynische Beurteilung, aber das ist die Wahrheit, die wir nicht ignorieren können. In den letzten fünf Jahren wurde ein Hotel nach dem anderen geschlossen, Städte, die wegen des Tourismus florierten, sind plötzlich zu Geisterstädten geworden. Meine Figuren bewegen sich in diesen von Unheil betroffenen Landschaften, und verkörpern das Mäandern einer ganzen Gesellschaft. Ich versuchte, dieses Gefühl herauszukristallisieren durch verlassene Autoparks, Firmen, die ihre Produktion runtergeschraubt haben, verlassene Strände und Schwimmbäder und Hotels, die ihr Personal entlassen. Hedi verkörpert das - mehr als nur eine Figur. Er zuckt vor und zurück.

ÜBER DIE BESETZUNG VON HEDI
Ich fürchte mich immer davor, zu verallgemeinern, aber ich sehe das Mitgefühl, das Hedis Figur hervorruft, auch in der Allgemeingültigkeit seiner Situation begründet.
Während der Casting-Session, in der wir nach unserem Hedi suchten, war ich von der Tatsache beeindruckt, dass die meisten Kandidaten vom Leben desillusioniert waren, aber gleichzeitig total ungeduldig erwarteten, dass etwas passiert, und die Idee, einfach mal loszulegen, war oft ihr einziger Plan.
Als Majd Mastoura zum Vorsprechen kam, fanden wir nicht, dass er zu dem passte, was wir suchten. Aber bei den Screentests erkannte ich sehr schnell, dass meine Vorstellung nicht so wichtig war, wie das, was er anbieten konnte. Seine wichtigsten Qualitäten sind seine Sensibilität und seine Aufrichtigkeit.
Um sich auf die Rolle vorzubereiten, musste er viel arbeiten, vor allem musste er seinen Gang und seine Haltung ändern, seine Stimme und seine Gesten. Im Gegenteil zu Hedi ist Majd sehr aufgeschlossen, manchmal sogar sehr überschwänglich. Er tanzt unheimlich gerne, liest Poesie und unsere erste Aufgabe war, seine ganze Energie zu kanalisieren. Aber er ist auch einzigartig präzise, und davon überzeugte er uns schon am ersten Tag der Proben.

ÜBER DIE ARBEIT MIT DEN DARDENNE BRÜDERN
Ich war sehr froh, die Dardenne Brüder bei diesem Projekt dabeizuhaben. Ihre Beteiligung ist für den Film sehr elementar.