NOME DI DONNA

ANMERKUNGEN DES REGISSEURS MARCO TULLIO GIORDANA


Sexuelle Belästigung ist ein momentan ein großes Thema in den Zeitungen. Es sollte immer ein Thema bleiben, denn diese Widerwärtig weigert sich, auszusterben. Aber als Cristiana Mainardi mit dem Drehbuch begann und während des Drehens, befürchtete ich, dass es nicht einfach werden würde, Aufmerksamkeit für dieses Thema zu erwecken. Etwa, weil automatische Reaktionen und Uneinigkeiten ins Spiel kommen, aber auch wegen des Risikos, als politisch korrekt abgestempelt zu werden. Nicht dass das politisch Inkorrekte weniger tückisch wäre: die Reaktion in Italien auf die jüngsten Enthüllungen waren eher eine dürftige Auseinandersetzung mit den Opfern als eine Verteidigung und Solidarität mit ihnen, die in anderen Ländern gegeben hatte. Diese männlichen Raubtiere genießen - in Italien und anderswo mehr oder weniger - eine Art kulturelle Straffreiheit, wobei ihre Avancen weder eher als übermütig oder ungeschickt angesehen als als Aggression oder Belästigung. „Zu meiner Zeit nannten wir das Komplimente!" kommentierte Adriana Asti schlau. Dieses Verhalten ist umso abscheulicher, wenn es am Arbeitsplatz auftritt und die Hierarchien (besonders starr in Italien) benutzt, um damit durchzukommen. Mich schockierte immer die Einsamkeit derer, die es wagen zu rebellieren und sich zu wehren - der Mangel an Solidarität, auch von anderen Frauen, und der Ärger der anderen darüber, eine Haltung dazu beziehen müssen. Wenn die Opfer beschuldigt werden, sich nicht gewehrt zu haben, oder ihre Anzeige rechtzeitig eingereicht zu haben oder sogar die Situation selbst „provoziert“ zu haben, erkennen wir, dass der gegenwärtige Standpunkt und die moralische Haltung auf der Seite der Täter sind. Obwohl die italienische Gesetzgebung jetzt sexuelle Gewalt anerkennt als Verbrechen gegen die Person und nicht gegen die öffentliche Moral, wie es jahrhundertelang galt. Es gibt einen echte Unterschied zwischen Vergewaltigung und Belästigung, und das dürfen wir nicht vergessen. Aber es ist immer ein persönlicher Angriff, keine Lässigkeit oder Arroganz. Es hat tatsächlich nichts mit dem Geschlechterkrieg zu tun oder nicht nur. Es ist etwas, das etwas über Ungleichheit aussagt, über die Macht, die jemand über einen anderen ausübt. In diesem Sinne ist es viel enger mit Klassenkämpfen verbunden (auch wenn dieser Satz antiquiert erscheinen mag) als mit sexueller Verhinderung. Ich kann mir die Einwände von einigen Seiten schon vorstellen: Ist Flirten nicht mehr erlaubt? Ist vor einem Körperkontakt ein Haftungsausschluss erforderlich? Aber es hat keinen Sinn, das Offensichtliche zu negieren: Jeder Mann oder jede Frau wissen genau, was passiert und wo die Grenzen liegen. Diejenigen, die darüber hinweggehen, wissen genau, dass sie eine Grenze verletzen.Ich habe meine ersten Filme in Mailand gedreht, aber danach ich immer anderswo in Italien und im Ausland, in Großbritannien, Angola, Norwegen, Griechenland, Afghanistan, wo ich mich immer zu Hause gefühlt habe und nie unter Heimweh litt. Aber als ich zu meinen Kindheitsorten in der südlichen Lombardei, den Seen, den Kanälen in Genivolta in der Nähe von Cremona, der Villa Mazzuchelli in Brescia und schließlich nach Mailand zurückkehrte, war es so anders, als das, was ich vor vierzig Jahren zurück ließ. Es war, wie in der Zeit zurück zu reisen und eine Art vorgeburtliches Glück zu finden. Mir wurde klar, wie fotogen meine Heimat ist, wie bewegend das Licht ist und wie blendend der Himmel ist, wenn es von einem so talentierten Kameramann wie Vincenzo Carpineta eingefangen wird.

Der Beitrag der Schauspieler war für mich von großer Bedeutung: Ihre Eingaban, die Art und Weise, in der sie versuchten ihre eigenen Gefühle auszudrücken - Michela Cescon, Bebo Storti, Stefano Scandaletti, Laura Marinoni, Renato Sarti, Anita Kravos, Patrizia Punzo, Gabriella Riva, Patrizia Piccinini und Stefania Monaco bei ihrem Debüt, sowie die elektrisierenden Auftritte von Vanessa Scalera und Linda Caridi. Cristiana Capotondi warf sich mit Wucht in den Charakter von Nina, um die Entschlossenheit - nicht die Zerbrechlichkeit - ihrer Figur auszudrücken, sich nicht unterkriegen zu lassen; Valerio Binasco hatte keine Angst, in die Fußstapfen des unangenehmen Missbrauchers zu treten. Ich denke, dass seine Rolle die schwierigste war.Der Film scheint zwischen zwei Bildfeldern fein ausbalanciert zu sein: dem der Fakten - mit der Kamera aus der Ferne aufgenommen, mit statischen oder leicht bewegten Aufnahmen, in einer Art "objektiver" Ansicht - und das
der Emotionen der Charaktere, vor allem von Nina, aber auch von den anderen, hervorgehoben durch Kamerabewegungen, die manchmal nicht wahrnehmbar, manchmal ausgeprägt sind, als würde sich der Standpunkt ständig ändern, um eine Ausgeglichenheit oder den Anschein davon zu finden.
Tatsächlich entwickelt sich jede Figur im Film ständig weiter, wobei jede der Figuren eine Krise erlebt, eine gewisse Instabilität. Dies betrifft nicht nur Ninas Kollegen, die aus Angst, ihr gesamtes Bezugssystem zu verlieren, an das sie sich so dramatisch angepasst haben, bereit sind, sie zu meiden und zu isolieren, aber auch die männlichen Charaktere, sogar die Antagonisten, die anfangs dreist sind, dann aber immer zerbrechlicher werden, weniger unverwundbar und selbstsicher. Dies erforderte eine kontinuierliche Arbeit aller Akteure an ihrer Mehrdeutigkeit, und dabei die Worte des Drehbuchs nicht für die Kommunikation zu verwenden, sondern um sich dahinter zu verstecken. Nina wechselt auch ständig ihre Haltung, mit Momenten, in denen ihre Überzeugung stark ist und anderen, in denen sie an sich zweifelt. Sie ist weder eine Heldin, noch eine Fanatikerin, noch eine Aktivistin für eine gute Sache, sie ist einfach jemand, die ihre Sicherheit und vor allem ihre Integrität bedroht sieht.

Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, wie sehr mir nicht nur meine beiden Redakteure Francesca Calvelli und Claudio Misantoni dabei geholfen haben, meinen Film zu „finden“, sondern auch der Komponist Dario Marianelli mit seiner starken und dochzarte Partitur, immer im Einklang mit den Emotionen der Charaktere. Ganz zu schweigen von den Kostümen von Francesca Sartori, der Kulisse von Giancarlo Basili und der Unterstützung von Lionello Cerri, meinem großzügigen und verständnisvollen Produzenten.



Filmographie

1979 - MALEDETTI VI AMERO’ Großer Preis, Filmfestival Locarno 1980
1981 - LA CADUTA DEGLI ANGELI RIBELLI
1982 - YOUNG PERSON’S GUIDE TO THE ORCHESTRA
1983 - NOTTI E NEBBIE
1988 - APPUNTAMENTO A LIVERPOOL
1991 - LA NEVE SUL FUOCO" TV-Folge von LA DOMENICA SPECIALMENTE
1995 - PASOLINI UN DELITTO ITALIANO
2000 - I CENTO PASSI Filmfestival Venedig, Drehbuchpreis
2001 - LA MEGLIO GIOVENTU’ Cannes, Großer Preis von Un certain Regard
2004 – QUANDO SEI NATO NON PUOI PIU’ NASCONDERTI
2007 – SANGUEPAZZO
2010 – ROMANZO DI UNA STRAGE
2014 – LEA
2017 – DUE SOLDATI