VIVA LA LIBERTÀ

REGISSEUR Roberto Andò

Roberto Andò (1959, Palermo) begann seine Arbeit beim Film als Assistent von Francesco Rosi, Federico Fellini, Michael Cimino und Francis F. Coppola. Weiterhin ist er Filmkritiker, Autor und inszenierte bereits zahlreiche Theaterstücke und Opern. 1994 feierte er sein Debüt mit dem Videofilm „Robert Wilson Memory/Loss“, 1995 folgte dann sein erster Spielfilm „Diario senza date“ mit Bruno Ganz. Seine anderen Spielfilme sind: „Il manoscritto del principe“ (2000), „Sotto falso nome“ (2004) und „Viaggio segreto“ (2006).

INTERVIEW mit ROBERTO ANDÒ

„Ich wollte mir etwas ausdenken, das es so noch nicht gab. Dabei reizte mich eine Figur, die in die Politik ein Klima der Veränderung brächte, frischen Wind sozusagen. Was die Idee des Rollentauschs betrifft, die kam dann sozusagen von selbst. Entscheidend für den Erfolg war allerdings die Doppelbesetzung mit Toni Servillo, einmal als Politiker Enrico Oliveri, einmal als dessen philosophischer Bruder. Ich hätte diesen Film niemals gedreht, wenn ich nicht einen Schauspieler gehabt hätte, der diese beiden Persönlichkeiten verkörpern konnte. Servillo war einfach perfekt für diese Aufgabe.“

Oft sehen wir ja Filme, die auf Büchern basieren. Seltener ist allerdings, dass ein Buch und ein Film vom selben Autoren stammen. Dadurch wird es noch interessanter mitzubekommen, wie Sie zusammen mit Angelo Pasquini daran gearbeitet haben, ein Drehbuch aus dem gleichnamigen Roman zu schaffen. Ein populäres Sprichwort meint, dass ein Buch „verraten“ werden muss, um einen guten Film daraus zu machen. Ist es in Ihrem Fall eine Frage von Verrat oder Vertrauen, Leidenschaft oder Distanz?
Es wäre ein Fehler, mich selbst zu hintergehen. Mit der Hilfe von Angelo Pasquini ließ ich mich von einer gewissen Freiheit führen, und es geschah oft, dass ich vom Ergebnis überrascht war. Im Film gibt es Situationen, die im Roman nicht auftauchen. Als ob das Schreiben des Drehbuchs, des visuellen Registers, die Handlung über die Reflexion gestellt und dabei andere Entwicklungen entstehen ließ als der Roman.
Pasquini und ich versuchten von Anfang an, die Figuren des Films mit derselben Leichtigkeit schweben zu lassen, die das Buch durchzieht. Eine Leichtigkeit, die für mich das Ziel jedes künstlerischen Ausdrucks ist. Der Film hängt vom Zusammenhang der Ereignisse ab, dem Rätsel der Tatsachen, und daher von der Notwendigkeit einer Essenz, die ohne intellektuelle Hindernisse die tiefen Spuren hervorbringt, die in der Geschichte verstreut sind.

Um mit der Beziehung von Buch und Film weiterzumachen: Glauben Sie, dass das Drehbuch, anders als es jetzt geschehen ist, von jemand völlig anderem hätte geschrieben werden können?
Warum nicht? Es wäre auf jeden Fall sehr befriedigend gewesen, wenn meine Geschichte von jemand anderem für einen Film entwickelt und neu geschrieben worden wäre. Vielleicht nächstes Mal...

„Ein wundervoller Roman, vor allem weil wir das tiefe Glücksgefühl beim Schreiben verspüren, ein Glücksgefühl, das sich auf den Leser überträgt“, hat Andrea Camilleri über Ihr Buch gesagt. Was glauben – oder zumindest hoffen – Sie, welche anderen Gefühle und Gedanken kann der Film abgesehen von diesem Glücksgefühl transportieren?
Wie ich vorhin gesagt habe, das Schreiben des Romans eroberte ich dieses Terrain, von dem jeder Geschichtenerzähler hofft, es früher oder später zu betreten: Leichtigkeit. Ich hoffe, die Zuschauer finden im Film dieselbe Leichtigkeit, die die Leser und auch Camilleri am Roman so geschätzt haben. Eine Leichtigkeit, die sich mit Gefühlen und offensichtlich auch mit Reflexionen über das Leben und die Politik deckt, zumindest mit den wesentlichen Aspekten, für die die Politik verantwortlich ist. Liebe, Schummeleien, Scheitern und Talent... Da sind viele Fäden, die sich durch den Film ziehen. Die jeden etwas angehen. Und es ist möglich, darin den Verlauf der italienischen Politik der letzten 20 Jahre nachzulesen.
Wir stecken mitten in einer epochalen Krise, die genau den Nerv des Westens getroffen hat. Eine Krise, die die Rolle der Wirtschaft und der Politik trifft, und wir sind alle davon überzeugt, an einem Punkt angelangt zu sein, an dem es keine Umkehr mehr gibt. Davon, dass ein Neustart nötig ist. Ein Neustart mit anderen Grundsätzen, die die Täuschung als Staatsform bzw. als Mittel politischer Kommunikation hinter sich lässt.

Das Buch und der Film vermitteln ein bestimmtes Grundwissen über die politischen Ereignisse in der italienischen Gesellschaft der letzten Zeit. Dennoch ist die Hauptzutat das Geheimnisvolle, das sich zwischen dem Paradoxen und der Realität entspinnt. Liegt das an Sciascia mit seiner Lektion, an Rosi mit seinen Anregungen, die Meister, mit denen Sie über die Zeit persönliche Beziehungen und geschäftliche Kollaborationen eingegangen sind? Sogar Harold Pinter scheint hier und da aufzutauchen, da Sie sich im Theater oft mit ihm beschäftigt haben. Ist das richtig?
Diese „Meister“ sind so großartig, dass sie unauslöschliche Spuren auf hinterlassen haben. Zumindest trifft das auf mich zu. Ich war sehr erfreut darüber, dass die Kritikier Il trono vuoto mit Sciascias Lektion verglichen haben. Er war einer der ersten, die Politik in der Fiktion behandelt haben, und der seinen Stil zwischen Geheimnis und Metaphysik gefunden hat. Er war ein großartiger Freund, ein Mensch, dem ich sehr viel schulde. Natürlich, betrachtet man die Figuren aus dem Film und dem Buch, dann findet man dort viel Gelesenes und viele Gedanken über die marginale Bedeutung, die die Politik in der heutigen Welt noch hat, über die Undurchsichtigkeit der aktuellen Führung. Besonders mochte ich die Beobachtung eines Kritikers, der sagte, in meinem Roman sei „Politik eine Matapher für das Leben, dass sich selbst entrinnt“. Nun, ich wollte Politik und Leben verknüpfen, die Suche nach einem Gefühl, dass sich vom einen aufs andere übertragen lässt. So wie das Scheitern, das vom einen auf das andere zurückgeworfen wird.
Wenn jemand auf eine lebendige Politik hofft, ist das nicht nur eine rhetorische Phrase, sondern eine Anspielung darauf, dass Politik oft ein Nekrolog ist, eine Anfrage, die ein unzustellbarer Brief ist. Und trotzdem, sogar heute noch ist Politik das beste Instrument, dass der Mensch erfunden hat, um das Leben zu verbessern und lebenswert zu machen.

Im Film gibt es präzise Elemente, die immer wieder auftauchen, und Anspielungen auf die Welt der Politik, des Kinos und der Musik, spezielle kulturelle Anspielungen. Wenn das auch nicht wirklich autobiografisch ist, spiegelt es doch einige Ihrer persönlichen Erfahrungen und Interessen. Würden Sie dem zustimmen?
An einem bestimmten Punkt ertappt man sich plötzlich dabei, wie man schamlos seine inneren Werte und die seiner Liebsten, die einen befähigt haben, mehr vom Leben zu verstehen, die Geheimnisse, die seinen Fluss regulieren, einfach plündert. Es ist unvermeidllich. Der Film erzählt parallel von zwei Zwillingen, er erzählt uns von dieser einfachen und verwirrenden Geste, den Platz von jemand anderem einzunehmen, seine Rolle zu spielen. Und was es implizit noch schlimmer macht, ist, dass hier ein verrückter Philosoph die Rolle eines Mannes einnimmt, der in den Sphären der Macht agiert. Es ist eine Geschichte, die uns durch das Mittel des Doppelgängers erzählt wird, das zentral ist in unserem westlichen Kanon. Wo es sich nun der Roman erlauben kann, mit einer Art enzyklopädischem Lernen zu spielen, muss das Kino im Gegenteil dazu schlank und wesentlich bleiben. All die kulturellen Brechungen, mit denen der Roman spielt, bleiben im Film verborgen. Ein Film muss seine Intelligenz allein durch die Handlungen seiner Figuren zeigen.

Wollten Sie den Schauspielerin, abgesehen von den offensichtlichen Eigenheiten eines jeden, Richtlinien geben, Eckpfeiler, Orientierungspunkte für alle? Sagen wir, so etwas wie eine Parole?
Es passiert fast immer, dass ich die Schauspieler aussuche, während ich das Drehbuch schreibe. Und was noch wichtiger ist: Ich hätte diesen Film nie gedreht, wenn Toni Servillo nicht dabei gewesen wäre. Mir hätte der Erfolg des Buches gereicht. Ich brauchte ein Gesicht wie seines, die rigorose Klugheit seines Aussehens, um eine zweifache Figur zu verkörpern, die sich Szene für Szene mit sich selbst konfrontiert. Toni war ein echter Partner. Außerdem bewahrheitete sich, dass die Definition, die mein Freund Francesco Rosi verwendet, wenn er in Bezug auf Gian Maria Volontè von Toni als „Schöpfer-Schauspieler“ spricht.
Toni hat uns von Anfang an davon überzeugt, dass das zwei Charaktere waren, die ein Hauch von Leichtigkeit und Geheimnis umgibt. Und Valerio Mastandrea, ist ein Schauspieler, den ich sehr bewundere und mit dem ich schon lange zusammenarbeiten wollte. Ein eleganter Schauspieler, ein Meister der Leichtigkeit.
Hier, das ist die Parole: Leichtigkeit.
Aber alle Schauspieler in diesem Film gehören zur edlen Familie des italienischen Filmemachens. Michela Cescon, Valeria Bruni Tedeschi, Anna Bonaiuto, alle sind fantastische, sehr intensive, wundervolle Reisegefährten. Nicht zu vergessen Massimo De Francovich und Gianrico Tedeschi, zwei Darsteller, die nur einen Moment auftauchen mussten, um einen magischen Nachhall auf der Leinwand zu hinterlassen.

Die Handlung im Hintergrund, wobei sie nicht zu sehr im Hintergrund bleibt, behandelt das Thema von Identität und ihrem Doppel, die verschwommene Grenze zwischen wahr und falsch. Haben Sie sich aus diesem Grund dafür entschieden, das Herz der Geschichte mit den Figuren der Zwillinge zu repräsentieren?
Man sagt, der Autor einer Geschichte oder eines Films kann nicht all seine Fluchtpunkte in seinem Werk vereinen, geschweige denn die Vielzahl möglicher Interpretationen. Ich glaube, das ist wahr. Dieses Thema des Doppelgängers, die Vielschichtigkeit der Haltungen in den beiden Figuren, die Toni Servillo spielt, und in der von Mastandrea, verursachen einen gewissen Schwindel. Erlauben Sie mir, eine Kritik zu meinem Roman zu zitieren, die außergewöhnlich gut auf den Film zutrifft und die, rückblickend, nachdem wir diese Reise begangen haben, ebenso das Filmen und das Schneiden des Films charakterisiert. Massimo Cacciari hat das geschrieben, ein Philosoph, ein großartiger Intellektueller, der die Welt der Politik gut kennt und ihren Irrungen lange gefolgt ist.
Cacciari schreibt: „Roberto Andòs Buch, obwohl es mit ironischer Leichtigkeit am Rand des Paradoxes balanciert, diskutiert in Wirklichkeit den fundamentalen Widerspruch in der Ausübung der Macht. Macht ist ihrem Wesen nach eine Maske; die, die sie ausüben, repräsentieren immer etwas anderes als sich selbst, und sie verstecken immer einen Fremden in sich selbst. Und dieser Fremde gehört ebenso zu ihrer Natur wie ein Zwillingsbruder. Die Macht ist vollkommen unfähig, dieser Relation zu entrinnen, egal, wie sehr sie es versucht. Schlussendlich also ist der Unterschied unerheblich, und es ist notwendig, mit derselben Ernüchterung, die typisch ist für Andòs Schreiben, die Deckungsgleichheit von Macht und Schein zu erkennen.“
Hier – ich könnte es nicht besser ausdrücken – behandelt die Beziehung der beiden Zwillingsbrüder, inszeniert durch ihren Tausch, dieses Hauptthema, das immer schon der Gegenstand von Fragen war: Macht als Schein.
Das Paradoxon, das meine Filme inspiriert, ist das: Obwohl sie dazu verdammt ist, vorzutäuschen, kann die Macht danach streben, den Zugang zur Wahrheit zu erhalten... Oder besser: zu den Wahrheiten.