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HYLNUR PÂLMASON – Regisseur und Drehbuchautor
Er begann als bildender Künstler und entwickelt seine Karriere
später
hin zum Filmemachen, indem er die Ausbildung an der Danish National Film
School absolvierte, die er 2013 mit dem preisgekrönten Kurzfilm
A PAINTER abschloss. Pálmasons Langfilmdebüt WINTER BROTHERS
feierte seine Weltpremiere 2017 im Int. Wettbewerb am Locarno Film Festival,
wo es mit 4 Preisen ausgezeichnet wurde. Im Anschluss wurde der Film
in 20 Länder verkauft und an gewann rund um den Globus über
30 Festivalauszeichnungen. A WHITE, WHITE DAY ist sein zweiter Langspielfilm.
2019
A WHITE, WHITE DAY
2017 WINTER BROTHERS
2014 SEVEN BOATS (Kurzfilm)
2011 A PAINTER (Kurzfilm)
2009 A DAY OR TWO (Kurzfilm)
INTERVIEW MIT HYLNUR PALMASON
Der Film beginnt mit einem Zitat, «wenn
alles weiß ist, und
es keinen Unterschied mehr zwischen dem Himmel und der Erde gibt, können
die Toten zu uns Lebenden sprechen». Das lässt einem sofort
an eine Art Geistergeschichte denken – mit einem Mann auf der verzweifelten
Suche nach der Wahrheit über seine verstorbene Frau.
Ja, ich glaube, mich ziehen Dinge an, die ich auf eine geheimnisvolle
Weise rätselhaft finde und die eine gewisse Vieldeutigkeit an sich haben.
Dinge, die unklar und verborgen sind, stecken ja voller Möglichkeiten
und regen die Fantasie an. Was die Hauptfigur umtreibt, ist denn auch eine
verzehrende Leidenschaft und der Wunsch, mehr über das Unbekannte
zu erfahren.
Es gibt ein paar seltsame Situationen im Film, beispielsweise die
Fernsehsendung für Kinder, welche in einer ziemlich langen Szene
gezeigt wird. Weshalb diese Szene?
Ich finde nicht, dass die Sendung seltsam ist, nicht wenn du selber Fernsehen
schaust oder weißt, was so auf den Smartphones der Leute läuft.
In der Szene werden auf eine spielerische Weise Themen angerührt,
um die es im Film geht. Ein chinesisches Sprichwort, das mir gefällt,
besagt dass «Je mehr du weißt, umso weniger scheint es dir
seltsam».
Nehmen Sie häufig ein bestimmtes Genre als Ausgangspunkt und rücken
dann davon ab, um ihre eigene Geschichte zu erzählen?
Ich denke nie über Genres nach, ehrlich gesagt, weiß ich wenig
darüber. Es ist mir meist im vornherein nicht so bewusst, wie sich
ein Film entwickelt, aber für mich ging es in „Weißer,
weißer Tag“ um zwei Arten der Liebe. Einerseits um die Liebe,
die man für seine Kinder oder Enkelkinder empfindet, welche einfach,
rein und bedingungslos ist. Und dann andererseits um die Liebe für
den Partner, den Geliebten, die Ehefrau. Das ist etwas völlig anderes,
komplexer, intimer, animalischer und etwas ziemlich Einzigartiges, das
man mit niemandem sonst teilst.
Über die Ehefrau wird nicht viel preisgegeben – ohne Rückblenden
und immer nur kurz erwähnt, bleibt sie bis zum Ende des Films eine
Fantasie.
Sie sollte im Film durchgehend gegenwärtig bleiben, ohne die Verwendung
von Rückblenden oder sonst irgendwas zu Sentimentalem Ich wollte,
dass sie immer wieder erwähnt wird und gegenwärtig bleibt anhand
von Gegenständen, Bilder und dem Videotape. Dadurch bleibt mehr
Raum für die Fantasie der Zuschauer. So projiziert jeder seine eigenen
Vorstellungen und Gefühle auf sie. Und sie bleibt bis zum Ende ein
wenig geheimnisvoll. Die Momente im Film mit ihr sind immens wichtig,
aber gleichzeitig sind es nur wenige, und ich wollte diese nicht überladen
mit sentimentalen Rückblenden oder zu viel Information. Schließlich
ist das Leben unergründlich und wir haben versucht, das filmisch
umzusetzen.
Der Soundtrack des Films spiegelt das wider. Welche Gefühle
wollten Sie damit vermitteln? Die Musik lässt einem im Grunde von
Anfang an vermuten, dass etwas schief laufen wird.
Ich wollte, dass die Musik zur Stimmung des Films passt, sehr hell und
schön klingt und sich mühelos in etwas Dunkleres und Mysteriöseres
wandelt. Es war sehr spannend mit der Musik von Edmund Finnis zu arbeiten.
Ich bin ein großer Fan seiner Musik, er arbeitet wunderbar mit Klängen
und Tönen. Die Musik gibt den Tönen Raum, und der Film gibt der
Musik den Raum, so dass diese beiden Elemente sehr gut zusammen arbeiten,
ohne einander gegenseitig zu ersticken.
Bei THE PAINTER (2013), ihrem Abschlussfilm an der National Film School
of Denmark, haben Sie bereits mit Ingvar Sigurðsson gearbeitet. Was
hat Sie dazu bewegt, wieder mit ihm zu arbeiten, und besonders in diese
Rolle?
Es war toll, mit Ingvar meinen Abschlussfilm zu drehen, und ich hatte
das Gefühl, dass es in der Zusammenarbeit mit ihm noch mehr auszuloten
gibt. Daher habe ich „Weißer, weißer Tag“ nicht
nur mit ihm im Hinterkopf entwickelt und geschrieben, sondern war auch
stets mit ihm in engem Kontakt während der Arbeit am Drehbuch. Ingvar
ist ein äußerst natürlicher, körperlich präsenter
Schauspieler, aber gleichzeitig sehr emotional und großartig im
Mitarbeiten und Mitdenken. Er versteht es unglaublich gut, sich zu bewegen
und so war
es ein Leichtes, mit der Kamera seine ausdrucksstarken Bewegungen und
Gebärden zu erfassen. Das heißt,
er ist technisch sehr gut sowohl in den Dialogen als auch in der Bewegung,
und das hat mir viel Freiheit beim Schreiben gegeben, für die Darstellung
komplexer Szenen und Szenarien, die oftmals schwierig sind in der Ausführung.
Ich spürte auch, dass er sich hundertprozentig dem Projekt verschrieben
hatte und sehr präsent und emotional engagiert war, und das ist
im Grunde, was ich von einem Schauspieler wirklich will und brauche.
Wir haben noch nicht über seine Beziehung zu seiner Enkelin gesprochen,
diese Beziehung ist wahrscheinlich eine der wichtigsten im Film. Wie sehen
Sie diese Beziehung, und wie verändert sie sich?
Seine Enkelin hütet er wie seinen Augapfel und sie verkörpert
die bedingungslose Liebe, die wir für unsere Kinder oder Enkel empfinden.
Es ist eine einfache, reine Liebe und als diese hat sie eine beinahe heilende
Wirkung auf den Protagonisten. Es war mir sehr wichtig, dass wir uns gut
verstehen und dass sie diese natürliche Art hatten, zusammen Zeit
zu verbringen
Interessanterweise ist Ingimundur, obschon von der Familie umgeben, doch
sehr allein mit seinem Schmerz.
Was hat Sie an dieser Trauer so angezogen, die sich im Film so anstaut
bis sie buchstäblich platzt?
Jemanden zu haben, den wir lieben, hat zur Folge, dass wir möglicherweise
einen großen Verlust erleben werden. Ingimundur hat den Verlust seiner
innig geliebten Frau erlebt, und dann kommt etwas hinzu... eine dunkle
Ahnung beginnt, und lässt ihn hinterfragen, was sie zusammen hatten.
Wenn jemand in dieser Art von Lage ist, und einen schwachen Moment hat,
befindet er sich oft in einem sehr menschlichen Zustand. Genau das wollte
ich ausloten.
Das stimmt – es scheint beinahe, als ob er anstatt die Erinnerungen
zu hegen, diese absichtlich blockiert. Warum beschließt er, die
ganze Wahrheit herauszufinden? Auf diese Weise wird er kaum Frieden finden,
oder?
Ich glaube, es war sehr einzigartig, was sie zusammen hatten, daher blieb
ihm nicht wirklich eine Wahl. Es ist schlussendlich dem Publikum überlassen,
ob es findet, dass es ihm Frieden bringen kann, oder ob er sich nur selber
weh tut. Ich hoffe, der Film ist offen für Interpretationen, daher
hängt er stark von der Person ab, die den Film schaut. Die Filme
und die Kunstwerke, die ich wirklich mag, sind immer sehr respektvoll
und offen
für Interpretationen. Wahrscheinlich ist jede gute Kunst so.
Bereits
in WINTER BROTHERS haben sie dem Gefühl der Einsamkeit und
der Isolation beschäftigt. Was zieht Sie so an bei diesen «starken,
schweigsamen Typen», die nicht gewillt sind sich zu öffnen?
Während jener Film als «Mangel-an-Liebesgeschichte» bezeichnet
wurde, scheint dieser ein Film über die allmähliche Zerstörung
einer Liebe zu sein, interessanterweise durch die Person, die diese Liebe
immer noch stark spürt.
Meiner Meinung nach unterscheidet sich Emil, der Protagonist in WINTER
BROTHERS, sehr von Ingimundur in A WHITE, WHITE DAY. Aber vielleicht
fühlensich
beide in gewisser Weise zurückgelassen, oder unerfüllt oder ungestillt,
ich weiß nicht. Emil fehlt es an Liebe und daran, von jemandem gesehen,
gebraucht und begehrt zu werden. Ingimundur bleibt mit all diesen Gefühlen
von Trauer, Zweifel und Wut alleine. A WHITE, WHITE DAY ist eine Geschichte
von Liebe und Hass zugleich, denn die schönsten Gedanken sind oft
sehr nahe an den dunkelsten. Die Menschen, die man liebt und bewundert,
erleben einen oft von der schlechtesten Seite, und die Grenze zwischen
Liebe und Hass ist sehr nahe.
Es gibt einige Szenen, die den Lauf der Zeit zeigen, besonders rund
um das Haus. Aber in Ingimundurs Fall scheint die Zeit still zu stehen.
Er ist kaum in der Lage weiterzumachen. Können Sie uns mehr darüber
erzählen, wie die Zeit in Ihrem Film vergeht?
Kino geht für mich sehr um Rhythmus, eine Zusammensetzung aus Bildern,
Ton, Bewe-gung, Musik, Dialog etc. Die Zusammenarbeit mit meinem Cutter
Julius Krebs Damsbo ist für mich sehr wichtig und genau bei dieser
Arbeit tauchen wir tief in den Film ein, hier entsteht der Rhythmus und
die Stimmung des Films. Das Haus zu beobachten, das Ingimundur baut, ist
ein wesentlicher Teil des Prozesses mit dem erlittenen Verlust umzugehen.
Es handelt sich darum die Zeit, die vergeht, zu
ertragen, und durch Beschäftigung bei Verstand zu bleiben. Ich wollte
mit dem Prolog das Vergehen der Zeit ausdrücken. Wir erleben, wie
die Zeit vergeht, wir sehen die Jahreszeiten vergehen und erleben das
sich ständig ändernde Wetter, Tag und Nacht, Kälte und
Wärme,
Schönheit und Rohheit der Natur. Als sie stirbt, lässt sie
ihren Ehemann alleine mit all diesen Gefühlen der Trauer, der Wut
und des Zweifels zurück. Der Film ist in dieser Hinsicht eine Tirade,
ein Hassgedicht an seine Frau, die er elendiglich vermisst. In gewisser
Weise
ist Ingimundur wie eine offene Wunde, die nicht heilen kann, und er ist
unfähig weiterzumachen.
Interview: Marta Balaga |